Erfahrungsbericht einer Fachkraft mit Behinderung in der Kita: Herausforderungen, Stärken und der Umgang mit Reizüberflutung
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Mein Erfahrungsbericht als Fachkraft mit Behinderung in der Kita
Inklusion bedeutet für mich mehr als nur Barrierefreiheit für Kinder. Als Fachkraft mit Behinderung in einer Kindertageseinrichtung erlebe ich täglich, wie wichtig es ist, dass Inklusion auch im Team gelebt wird. Leider stoße ich dabei oft auf Vorurteile und Missverständnisse, besonders wenn ich meine Behinderung nicht offen kommuniziere.
Reizüberflutung und Dissoziation im Kita-Alltag
Ein großer Teil meiner Herausforderung im Arbeitsalltag sind Reizüberflutungen. Die Nähe zu anderen Menschen, laute, volle Räume und ungerechte Situationen belasten mich stark. Das führt bei mir oft zu Dissoziationen, einem Zustand, in dem ich innerlich abschalte, um mit der Überforderung klarzukommen. Gleichzeitig kommen körperliche Schmerzen hinzu, die den Stress noch verstärken.
Ein Beispiel: Beim gemeinsamen Spielen und Laufen mit den Kindern hatte ich plötzlich das Gefühl, meine Beine würden nicht mehr funktionieren. Ich konnte nicht mehr auftreten und musste mich auf meinen Hintern fallen lassen. Für einige Minuten konnte ich nicht aufstehen – es war mir sehr peinlich, und ich hoffte, niemand hätte es bemerkt. Solche Momente sind schmerzhaft und zeigen, wie belastend mein Alltag oft ist.
Warum ich meine Behinderung nicht immer offen sage
Die Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung ist auch im pädagogischen Bereich leider noch stark präsent. Oft habe ich erlebt, dass meine ruhige und introvertierte Art als Schwäche interpretiert wird. Kolleg*innen empfehlen mir häufig, mich „mehr durchzusetzen“ oder „strenger zu sein“. Dabei sind meine Sensibilität und mein Einfühlungsvermögen wichtige Stärken im Umgang mit Kindern und Eltern.
Meine Stärken im pädagogischen Alltag
Neben Empathie bringe ich besonders analytisches Denken mit, das mir hilft, Situationen genau zu beobachten und Verhaltensänderungen bei Kindern frühzeitig zu erkennen. Mein aufmerksames Beobachten ermöglicht es mir, Bedürfnisse und Herausforderungen besser zu verstehen und individuell zu reagieren. Zudem zeichnen mich Geduld, Zuverlässigkeit und eine strukturierte Arbeitsweise aus, die für ein entspanntes Kita-Klima sorgen.
Unterstützung und Vertrauen fehlen oft
Ein prägendes Erlebnis war mein erstes Krankmelden: Mein ärztliches Attest, das meine Behinderung bestätigt, wurde auf seine Echtheit geprüft. Am Telefon fühlte ich mich gezwungen, mich als behindert zu outen, weil das Attest von meiner behandelnden Ärztin ausgestellt wurde. Solche Situationen zeigen, wie wenig Vertrauen und Verständnis im Arbeitsalltag oft vorhanden sind – und wie schwierig es sein kann, offen mit einer Behinderung umzugehen.
Fachkräfte mit Behinderung bringen wertvolle Perspektiven
Trotz der Herausforderungen bringe ich als Fachkraft mit Behinderung besondere Kompetenzen mit: Ich verstehe Ausgrenzung besser, habe ein geschärftes Bewusstsein für Vielfalt und kann Kindern mit besonderen Bedürfnissen auf Augenhöhe begegnen. Inklusion muss deshalb auch auf das Team ausgeweitet werden, damit wir gemeinsam eine wertschätzende und inklusive Kita-Kultur schaffen.
Warum Inklusion im Team so wichtig ist
Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert nicht nur inklusive Bildung für Kinder, sondern auch gleiche Chancen und Schutz für Mitarbeitende mit Behinderung. In der Praxis fehlen jedoch oft Schutzmechanismen, und Stigmatisierungen sind nach wie vor Alltag. Nur wenn Inklusion als Grundhaltung im gesamten Kita-Team gelebt wird, kann sie erfolgreich sein.
Fazit: Für eine inklusive Kita-Kultur – von Kindern bis Fachkräften
Mein Wunsch ist, dass Inklusion in Kitas nicht nur ein Konzept für Kinder bleibt, sondern auch das Team einschließt. Es braucht mehr Offenheit, Vertrauen und Anerkennung für Fachkräfte mit Behinderung – auch wenn sie nicht laut sind oder sich nicht offen outen wollen. Denn echte Inklusion beginnt dort, wo alle Menschen, egal mit welcher Geschichte, akzeptiert und wertgeschätzt werden.